Ach, wäre es nicht schön, wenn einfach alles „perfekt“ wäre?! Aber was ist Perfektion überhaupt? Und ist sie zu erreichen? Und zu welchen Kosten?
Perfektionismus ist laut Wikipedia, bzw. Nils Spitzer, ein „Persönlichkeitsmerkmal, das in erster Linie durch sehr hohe Maßstäbe, einer Rigidität der Maßstäbe und einem leistungsabhängigen Selbstwert charakterisiert ist.“
Perfektionismus als Illusion und Harmoniestreben
Letzten Endes ist die Perfektion lediglich eine Illusion – denn hat man einen Fehler ausgemerzt, springt dem Perfektionisten bereits der nächste Fehler ins Auge. Das Ergebnis: Das Werk wird niemals fertig. Zumindest steht ein perfektes Ergebnis mit ökonomischer Vernunft nicht im Einklang und so kommen wir – wieder einmal – auf das Pareto-Prinzip und die 80/20-Regel zurück: 80% des Ergebnisses werden eben doch in den ersten 20% des Zeitaufwands hergestellt – ist der Zeitaufwand, der darüber hinausgeht, noch wirtschaftlich?
Perfektionisten streben nach Harmonie. Die Betrachtung eines „perfekten“ Ergebnisses stiftet in ihnen eine tiefe Zufriedenheit. Doch gerade in den Köpfen von Hochbegabten tauchen immer wieder neue Aspekte auf, die ein Ergebnis wieder „unrund“ werden lassen. Dies oder jenes möchte doch noch berücksichtigt werden… wo machen wir denn jetzt den „cut“? Gerade in Teams kann ein perfektionistischer Ansatz für alle Seiten zermürbend sein. Der Perfektionist sieht seinen Input nicht gewürdigt, die anderen „bremsen alles aus“ und der Rest des Teams möchte endlich das Ergebnis in den Händen halten. Stressig wird es, wenn der Abgabetermin immer näher kommt und es Uneinigkeit darüber gibt, an welchen Stellschrauben noch gezogen werden soll.
Was heißt denn schon „perfekt“?
Letzten Endes hat das Wort „perfekt“ seinen Ursprung im Lateinischen. Während „perfectus“ als „vollkommen“ übersetzt wird, bedeutet das Wort „perficere“ nichts anderes als „ganz, fertig machen“. Der Anspruch des „Vollkommenen“ ist damit etwas relativiert, denn was nicht fertig wird, kann auch niemals vollkommen sein.
Das Streben nach Perfektion schafft auch eine gewisse Distanz, denn persönliche Maßstäbe weichen voneinander ab. Wenn meine Maßstäbe zu hoch sind, hänge ich meine Kollegen ab. Entweder ich bin für sie unerreichbar oder sie haben das Gefühl, meinen Maßstäben niemals gerecht werden zu können und wenden sich daher von mir ab. Nicht umsonst werden in persische Teppiche absichtlich Fehler eingeflochten, denn nur Allah ist perfekt.
Jedoch sollte man je nach Situation unterscheiden, ob der Perfektionismus Fluch oder Segen ist. Vielleicht erkennt ein Kollege einfach schneller, dass eine Konsequenz noch nicht berücksichtigt wurde? Zu Beginn kann es ganz gut sein, wenn man schnell ein Ergebnis vorzeigen kann – aber am Ende ist ein Ergebnis dann nachhaltiger, wenn es eben doch mit mehr als 20% der Zeit bedacht wurde. Und so hat in einem Team mal wieder jeder seinen Platz: Der schnelle Mensch mit seinen schnellen Lösungen ebenso wie der geneigte Perfektionist, der doch noch einmal genauer hinschauen möchte. Nur – wie bringe ich diese beiden Persönlichkeiten in Einklang?
Jede Persönlichkeit und jede Fähigkeit hat ihren Wert
Und schon sind wir wieder bei der Transparenz: Im ersten Schritt ist besonders wichtig, die Prioritäten und ein Gerüst für das Projekt zu erarbeiten: Welche Punkte sind besonders wichtig, was muss zuerst gemacht werden und wo kann man am Ende nochmal nachjustieren? Das Ziel ist nicht aus dem Auge zu verlieren. Und gleichzeitig braucht auch der Detail-Tiger eine Möglichkeit, seine Bedenken zu äußern, ohne als „kleinkariert“ oder „nervig“ abgestempelt zu werden. Gleichzeitig darf der geneigte Perfektionist eine gewissen Frustrationstoleranz im Umgang mit imperfekten Ergebnissen lernen – was bestimmt leichter fällt, wenn die Frustration vom Rest des Teams schlicht anerkannt wird. Manchmal reicht schon ein „Ja, wir wissen, dass Dir das jetzt so nicht reicht. Und aus den Gründen x,y, und z geben wir das jetzt trotzdem so ab.“ Aber Vorsicht: Wer vorher dem Perfektionisten nicht wirklich zugehört hat, wird ihn damit nicht besänftigen können!
Besondere Fähigkeiten und Kenntnisse sollten im Team immer transparent gemacht werden. Ein „Experte“ ist jemand, der eine zutreffende, gültige Antwort geben kann, ohne lange zu überlegen. Ein Experte kann aber auch jemand sein, der eben weiß, wann es sich lohnt, doch noch einmal genauer über etwas nachzudenken. Dieser „Jemand“ kann auch besonders geeignet sein zum „improfisieren“ – wozu etwas perfektionieren, wenn das Provisorium wunderbar hält? Dieses „Improfisieren“ darf auch ruhig so ablaufen, was die Norweger „smidig“ nennen – pragmatisch, umsetzbar, …sagen wir ein „kreativer Nebenweg“ – Hauptsache es funktioniert. Die Bayern nennen es g’schmeidig.
An der Erstellung des Artikels haben mitgewirkt: Eva Kippenberg, Dana Schnagl-Vitak, Ivar Aune, Heike Bojack und Ute Schiebusch-Reiter
Nils Spitzer: Perfektionismus und seine vielfältigen psychischen Folgen. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2016, ISBN 978-3-662-47475-4