Schnittstellenoptimierung im Beruf – wenn Sender und Empfänger aneinander vorbeifunken

Welcher Hochbegabte kennt das nicht: Das Problem ist klar, eine Lösung dazu präsentiert sich offensichtlich, aber außer einem selbst sieht niemand anderes weder das Problem noch die Lösung. Ok, ok – um das Problem sehen zu können, muss man dies und jenes mitgedacht haben, aber auch dies und jenes ist doch eigentlich offensichtlich – oder nicht?! Jedenfalls stoßen die Lösungen auf Unverständnis und Widerstand. Und wie lässt sich jetzt ein Bewusstsein in den anderen für das Problem herstellen, so dass die Lösung verstanden und *vielleicht sogar* gewürdigt wird?

Das Timing ist entscheidend

Eine der größten Herausforderungen ist das richtige Timing. Hochbegabte erkennen Probleme oft Wochen oder Monate, bevor diese für andere sichtbar werden. Und das Problem ist dann wie ein Steinchen im Schuh und muss einfach entfernt werden. Und so präsentieren Hochbegabte Lösungen für Probleme, von denen alle anderen gar nicht wussten, dass sie diese überhaupt haben. Oder bekommen könnten. Es kann auch sein, dass das Problem am Ende gar nicht auftaucht, aber vorbeugen ist meist leichter als nachsorgen. Vor der Lösung muss also das Problem klar sein. Und damit das Problem klar wird, muss Freiraum zum Denken beim Anderen vorhanden sein.

Die unsichtbare Denkarbeit

Neben dem Timing ist ein weiterer kritischer Punkt die Unsichtbarkeit der eigentlichen Arbeit. Ein Steinchen aus dem Schuh zu entfernen, ist ein sichtbarer Prozess. Wenn die Herausforderung jedoch versteckt in der Zukunft lauert, besteht ein Großteil der Lösungsfindung aus komplexen Denkprozessen und Vernetzung von Informationen, die zum Teil erst zusammengesammelt werden müssen. Das Endergebnis wirkt dann oft täuschend einfach – und das gerade weil es gründlich durchdacht wurde.

Interessanterweise unterschätzen Hochbegabte dabei häufig selbst den Umfang ihrer geleisteten Denkarbeit. Wenn eine Lösung nach intensivem Nachdenken „einfach“ und „logisch“ erscheint, vergessen sie oft die komplexen Gedankengänge, die zu diesem Ergebnis geführt haben. Und plötzlich fragt man sich, warum die Lösung eigentlich „so lange“ gebraucht hat.

Strategien für bessere Kommunikation

Wie können diese Herausforderungen gemeistert werden? Hier sind einige praktische Ansätze:

1. Problembewusstsein schaffen
Statt direkt mit Lösungen zu kommen, sollte zunächst das Problem klar kommuniziert werden. Dabei hilft es, konkrete Auswirkungen aufzuzeigen und andere am Erkenntnisprozess teilhaben zu lassen. Dabei ist ganz wichtig, dass das Gegenüber gerade ausreichend Zeit für so ein Gespräch hat. Wer unter Druck steht, ist für neue Herausforderungen nicht ansprechbar. Selbst, wenn die Lösung schon in der Schublade liegt.

2. Lösungen auf Vorrat – aber clever kommuniziert
Es ist völlig in Ordnung, Lösungen „auf Halde“ zu produzieren. Wichtig ist aber, diese erst dann zu präsentieren, wenn die Zeit reif ist. Die Zwischenzeit kann genutzt werden, um Konzepte weiter zu verfeinern, mögliche Einwände vorwegzunehmen oder dem Problembewusstsein auf die Sprünge zu helfen. Manchmal sorgt die Zwischenzeit auch schlicht dafür, dass das Problem tatsächlich auftritt – und dann direkt gelöst werden kann.

3. Den richtigen Filter entwickeln
Nicht jede brillante Idee muss sofort umgesetzt werden. Für mehr Klarheit, welche Idee sich lohnt weiter zu verfolgen, hilft ein persönlicher Filter:
– Wie dringend ist das Problem wirklich?
– Wer ist beteiligt?
– Welche Ressourcen werden benötigt?
– Wann ist ein guter Zeitpunkt für die Umsetzung?

4. Die Rolle des Übersetzers annehmen
Eine der wertvollsten Fähigkeiten ist es, Komplexität zu reduzieren und verständlich zu machen. Auf der einen Seite ist das auch die Ursache dafür, dass eine komplexe Leistung einfach aussieht. Auf der anderen Seite macht es die komplexe Lösung für andere überhaupt verständlich. Die Übersetzung zwischen Fachsprache und Anwenderebene, zwischen komplexen Zusammenhängen und praktischer Anwendung ist gerade im Arbeitsleben eine Kunst, die es zu kultivieren gilt.

Die Dokumentation des Denkprozesses

Kultivieren lässt sich die Übersetzertätigkeit durch die Dokumentation des Denkprozesses:

  • Zwischenschritte des Denkprozesses aufzeichnen – insbesondere „Qualitätssprünge“ im Denken sind wichtig zu dokumentieren, denn die lassen sich oft später kaum nachvollziehen. Welche Information hat zu so einem Qualitätssprung geführt? Außerdem hilft diese Dokumentation, den Gedankenstrom zu strukturieren.
  • Verworfene Alternativen notieren – Warum wurden sie verworfen? Auch in diesem Schritt wird deutlich, wieviel Arbeit hinter dem Prozess steckt!
  • Komplexitätsebenen der Problemlösung dokumentieren – welche Fragestellungen sind auf dem Weg aufgetaucht? Wie wurden diese Fragen beantwortet?
  • Den zeitlichen Aufwand der Denkarbeit festhalten – selbst wenn diese zeitliche Übersicht nur für sich selbst ist – sie dokumentiert die Leistung, die hinter der Lösungsfindung steht.

Die emotionale Komponente

Ein oft übersehener Aspekt ist die emotionale Seite der Schnittstellenoptimierung. Es kann frustrierend sein, wenn Ideen immer wieder nicht die erhoffte Resonanz finden. Doch zäumen wir das Pferd einmal von hinten auf:

  • Andere Menschen haben andere Perspektiven. Und oft hilft ein Perspektivenwechsel dabei, den anderen zu verstehen. Dabei hilft tatsächlich auch, sich einfach im Raum mal an eine andere Stelle zu stellen.
  • Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Perspektiven entwickelt sich auch eine gewisse „Kritik-Toleranz“. Es entsteht ein Verständnis dafür, dass der andere die eigene Perspektive gerade nicht nachvollziehen kann.
  • Nicht jede nicht umgesetzte Idee ist eine persönliche Ablehnung oder ein persönliches Versagen. Hier hilft der persönliche Filter, der im Laufe der Zeit immer feiner wird. Irgendwann ist klar, welche Ideen wir wirklich und tatsächlich verfolgen wollen, weil sie uns persönlich wichtig sind.
  • Gleich und Gleich gesellt sich gerne – es gibt mehr Menschen, die gerne Lösungen entwickeln und ähnliche Erfahrungen machen. Und mit diesen Menschen lässt es sich gut über Herausforderungen und Lösungen und auch den Frust austauschen. Wer sich öffnet wird merken, dass er nicht alleine ist auf der Welt.

Fazit

Die Optimierung der Schnittstelle zwischen hochbegabtem Denken und betrieblicher Realität ist eine kontinuierliche Aufgabe. Der Schlüssel liegt – wie so häufig – in der Kommunikation. Selbst unterschiedliche Computersprachen sind oft nicht kompatibel und brauchen einen Übersetzer. Der Turm zu Babel wurde nicht nur für Fremdsprachen gebaut. Für manche Worte gibt es gefühlt mehr Definitionen oder Inhalte als Menschen. Die Übersetzung und das Timing sind daher eminent wichtig für einen fruchtbaren Austausch.

Komplexe Zusammenhänge zu erfassen und kreative Lösungen zu entwickeln ist eine wertvolle Fähigkeit. Diese Gabe kann und sollte effektiv eingesetzt werden – zum Nutzen aller Beteiligten. Doch den größten Nutzen entfaltet diese Fähigkeit, wenn die Kommunikationsstrategie alle Menschen im Boot mitnimmt.

An dem Artikel haben mitgewirkt: Eva Kippenberg, Ute Schiebusch-Reiter, Hedwig Vielreicher, Heike Bojack, Melanie Nose, Claude.ai

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