Unklare Aufgabenstellungen – die Fragen dieser Welt…

Frag‘ doch nicht so dumm!

Eigentlich sollte man meinen, dass intelligente Menschen Zusammenhänge schnell durchschauen und Dinge daher schnell verstehen. Tun sie auch. Und doch äußert sich das merkwürdigerweise häufig – und auch im Arbeitskontext – darin, dass sie viele Fragen stellen und damit allen anderen öfter mal auf die Nerven fallen. Gefühlt treten diese Fragen bereits bei den einfachsten Aufgaben auf, die jeder andere einfach ausführen würde. Nur die Hochbegabten wollen es dann wieder „ganz genau“ wissen. Woran liegt das?

Die Vielfalt von Bedürfnissen und Denkweisen

Hochbegabte sehen Dinge häufig in einem größeren Zusammenhang und erfassen gleichzeitig viele kleine Details. Wenn also eine vermeintlich „einfache“ Frage auftaucht, kann sich das für Hochbegabte sehr komplex darstellen. Gerade die „einfachen“ Fragen machen es ihnen oft schwer, denn – warum wird die Frage überhaupt gestellt, wenn es so einfach ist? Da muss doch irgend etwas Anderes mit gemeint sein… und schon geht das Fass und der Horizont auf und in die Frage werden Aspekte hineinvermutet, die sich aus diesem und jenem ergeben, wo andere den Bezug überhaupt erst einmal herstellen müssen. Ein bisschen kann man sich das vorstellen, wie in einem chaotischen System, in dem eine kleine weitere Information dazu führen kann, dass das Chaos ausbricht. Ebenso kann die zusätzliche Information aber auch dazu führen, dass sich die Sache auf einer zusätzlichen Ebene klärt.

Dumme Fragen, dumme Antworten?

Schon die Ansichten darüber, ob eine Frage relevant ist oder nicht, kann zu unterschiedlichen Meinungen und Missstimmungen führen. Denn Zeit zu verschenken hat im Job niemand. Und Gedankenexperimente, die nirgendwo hinführen, nerven. Solange eine Frage oder Unklarheit jedoch im Raum steht, kann kaum jemand beurteilen, ob die Frage für das Gruppenergebnis relevant ist. Manchmal ist sie es nicht, manchmal aber eben doch. Hierfür ist entscheidend, dass die Frage richtig verstanden wird. In einem Setting, in dem erstmal alle Fragen gestellt werden dürfen, zeigt sich recht schnell, ob die Frage relevant ist.

Ein Beispiel:

Es wird eine neue U-Bahn Station gebaut. Das Tunnelplanungsteam kommt darauf, dass der Schacht tiefer im Boden liegen muss, weil die Baugrundeigenschaften weiter unten deutlich besser sind als oben und daher ein technisch und preislich günstigerer Bau des Tunnels möglich wird. Der Betriebstechniker fragt in die Runde, ob denn bei der Lösung auch an den Brandschutz und die Wartung gedacht wurde – die Frage wird mehr oder weniger ignoriert. Erst nach Fertigstellung wird klar, dass der Betrieb der tiefliegenden Bahnstation sehr teuer wird, da durch die Tieflage der Brandschutz erschwert und auch die Wartung beispielsweise der Rolltreppen in größerer Tiefe deutlich aufwendiger ist. Eine frühere Berücksichtigung der vom Betriebstechniker gestellten Frage in der Planung hätte hier viel Geld und Mühe sparen können. Eindrucksvolle und weithin bekannte Beispiele, dass dies wohl nicht so selten passiert, sind der Berliner Flughafen, Stuttgart 21 oder die Hamburger Elbphilharmonie.

Ein Gegenbeispiel:

Die Lebensmittelretter.org verteilen Lebensmittel, die im Supermarkt entsorgt werden würden. Die Nachfrage ist riesig und wird über eine App organisiert. Das führt dazu, dass manche Abholer über einen längeren Zeitraum nicht berücksichtigt werden könne. Diese Abholer werden an bestimmten Tagen bevorzugt, um eine gerechtere Verteilung zu erreichen. Technisch wirft dieses Verfahren immer wieder Fragen auf. Ein neues Mitglied der Organisation fragt in einem Treffen, warum denn dieses Angebot nur sporadisch und nicht kontinuierlich gemacht wird. Die Frage wird gehört und reflektiert und plötzlich ist die Organisation dieser Sonderplätze deutlich einfacher. Alle sind zufrieden: Die Nutznießer des Angebots haben eine höhere Chance auf eine gerechte Verteilung, die Technik läuft stabil und alle sind zufrieden.

Wird eine Frage gestellt und reflektiert, zeigt sich oft recht schnell, ob die Frage relevant ist. Und in einem solchen Setting sind alle Beteiligten in der Lage, Erfahrungen damit zu sammeln, welche Fragen in eine Sackgasse führen und welche Fragen tatsächlich Auswirkungen haben. Das Entscheidende ist eine Kultur zu etablieren, in der solche Erfahrungen gesammelt werden dürfen.

Es kann tatsächlich auch eine Aufgabe sein, den jeweiligen Personen klar zu machen, dass manche philosophischen Überlegungen nicht mehr zielführend sind. Auch hier hilft es, die eigenen Gedanken zu der Frage laut zu formulieren: „Ich verstehe nicht, was das jetzt noch mit der Lösungsfindung zu tun hat.“ Hier braucht es etwas Fingerspitzengefühl und Übung, aber auch klare Worte können hilfreich sein. Die Aufgabe wird jedoch leichter sein, wenn andere Fragen und Ideen dieser Person auch gehört werden.

Unterschiedliche Ebenen

Eine Herausforderung bei solchen Fragen entsteht, wenn unterschiedliche Wahrnehmungen aufeinandertreffen. Hochbegabte Personen erkennen oft durch ihre vernetzte Denkstruktur Zusammenhänge und Einzelheiten auf unterschiedlichen Ebenen, die andere nicht sehen. Sie gehen aber davon aus, dass diese Zusammenhänge auch für alle anderen völlig klar sein müssten. Genau wie alle anderen der Meinung sind, dass die Aufgabenstellung klar ist, weil sie eine andere Ebene nicht berücksichtigen. Die Bewegung auf unterschiedlichen Ebenen sorgt dann dafür, dass Missverständnisse entstehen. Es ist erstaunlich, wie oft man und wie lange man aneinander vorbeireden kann. Hier ist es hilfreich, laut zu denken. Wer sich gegenseitig beim lauten Denken zuhört, kann eingreifen, wenn der Zug auf ein Abstellgleis gerät. Oder kann mitziehen, wenn ein Seitenarm in den Fluss fließt und die Strömung beschleunigt. Oder kann eingreifen, wenn der Fluss über die Ufer tritt.

Transparenz – Dein Freund und Helfer

Hochbegabte fühlen sich häufig für das verantwortlich, was sie sehen. Und sie sehen oft mehr, als wofür ihr Aufgabenbereich sie zuständig macht. Es fließen einfach mehr Seitenarme in den Fluss. Sie sehen also Dinge und haben Fragen und fühlen sich dafür verantwortlich. Wenn die Dinge nicht in ihrem Aufgabenbereich liegen, fühlen sie sich zumindest dafür verantwortlich, dass der Verantwortliche diese Dinge auch sieht. Je weniger der hochbegabte Mensch ausgelastet ist und seine Fähigkeiten einbringen kann, desto mehr neigt er dazu, in anderen Bereichen zu „wildern“.

Eine klare Einteilung der Verantwortlichkeiten kann hier Abhilfe schaffen auf zwei Wegen:

1) Es kann eine klare Ansage geben, dass der Mitarbeiter nicht zuständig ist und sich zurückhalten soll. Die Folge ist sehr wahrscheinlich, dass der Mitarbeiter frustriert wird, weil er seine Fähigkeiten nicht einsetzen darf und diese auch nicht gewertschätzt werden. Die Folge ist Dienst nach Vorschrift, Demotivation und am Ende womöglich die Kündigung.

2) Der Aufgabenbereich kann beispielsweise durch gezielte Projekte erweitert werden. Oder Verantwortlichkeiten können Teil einer Nebenabsprache sein, durch die besondere Fähigkeiten gezielt eingesetzt werden. Die Mitarbeiterin ist besonders gut darin, das Sandkorn in Strukturen und Prozessen zu finden? Warum nicht nach einem Meeting eine kurze Besprechung mit der Führungskraft, was ihr in dem Meeting aufgefallen ist? Wichtig ist hier, solche Fähigkeiten und Rückmeldungen vorher abzusprechen, damit die Führungskraft darauf vorbereitet ist! Sonst kann eine solche Rückmeldung schnell als Angriff auf die Führungskompetenz wahrgenommen werden.

Ankerpunkte setzen

Wie können denn nun unterschiedliche Ebenen kommuniziert werden? Die Wahrnehmung ist unterschiedlich, die Sprache anders, die Geschwindigkeit divergent – wie soll man sich da gegenseitig verstehen? Zuerst einmal ist ganz wichtig, dass es klare Regeln im Meeting und einen klaren Rahmen im operativen Geschäft gibt. Welche Technik wird verwendet, wo werden Dinge abgelegt, wie sind spezifische Abläufe? Dazu gehört auch die Meetingkultur, die im besten Fall Raum für Fragen und Klarstellungen bietet.

Hier sind zu Beginn eines Meetings zwei einfache Fragen zu klären:

  • Was ist der aktuelle Status Quo aller Beteiligten?

  • Wie genau sieht die aktuelle Fragestellung von den verschiedenen Standpunkten her betrachtet aus (ohne dabei zu tief ins Detail zu gehen…)

Solche Ausgangssituationen sollten immer wieder geklärt und im Verlauf eines Projekts regelmäßig neu überprüft werden. Eine schrittweise Einbindung aller Beteiligten kann zwar zeitaufwendig erscheinen, zahlt sich aber durch präzisere Abstimmungen und die Vermeidung von Umwegen und Doppelarbeit aus. Frei nach dem Motto „Manchmal ist mein Schneider schlauer als mein Berater: Jedes mal, wenn der kommt, misst er erst einmal neu aus.“ Eine klare Ausmessung des IST-Zustandes führt auch dazu, dass beispielsweise Aufträge nicht mehrfach vergeben werden oder die Grenzen eines Auftrages und die Schnittstellen (Verantwortlichkeiten!!) klarer werden. Hierfür ist essentiell, dass jeder im Team sich trauen kann zu fragen, wo man gerade steht und welche Schritte als nächstes folgen. Dies sollte keine Hürde darstellen, sondern ein selbstverständlicher Teil des Arbeitsprozesses sein.

Lautes Denken als Wundermittel für Struktur

Eine Klärung der aktuellen Position ist nicht nur zu Beginn eines Meetings empfehlenswert, sondern sollte tatsächlich auch jede Frage einleiten. Was habe ich bisher wie verstanden und warum stellt sich mir jetzt folgende Frage? Dieser Schritt sortiert die Gedanken und klärt oft auch für den Fragenden schon einen guten Teil der Antwort. Praxisnahe Beispiele sind eine besonders hilfreiche Unterstützung darin, das gegenseitige Verständnis auf beiden Seiten zu klären.

Auch in diesem Prozess kann es passieren, dass Fragende sich verzetteln und am Ende nicht mehr wissen, wo sie stehen – entweder das klärt, dass die Frage nicht greifbar ist, oder einer der anderen Zuhörer erkennt den Knackpunkt und kann den Wirrwarr wieder klären. In Meetings sollte sowieso immer ein Moderator zur Verfügung stehen, der das Thema immer wieder auf die Kernfrage lenkt. So entsteht ein Miteinander des Verstehens, was zu einem zielführenden Austausch besonders effektiv beträgt.

 

 

An dem Artikel haben mitgewirkt: Eva Kippenberg, Dana Schnagl-Vitak, Astrid Puchinger und Hedwig Vielreicher, Corinna von der Mühlen

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