Burn or Bore?

Überlastung. Das Gehirn fährt massiv hoch und schaltet dann von jetzt auf gleich ab. Es passieren zunehmend Fehler, nichts geht mehr. Die „klassische“ Diagnose: Burn-Out. Der Weg raus: Abschalten, Urlaub, Ruhe und als Prophylaxe ganz wichtig: Abgrenzung lernen. Denn die Ursache für einen Burn-Out ist eine Überlastung von Aufgaben. Diese Überlastung führt zu einer „Entpersonalisierung“, es werden beispielsweise kaum noch private Gespräche mit Kollegen geführt. Die viele Arbeit sorgt dafür, dass weniger Zeit für Sozialkontakte aufgewendet wird, weil die Arbeit vermeintlich „wichtiger“ ist. Gleichzeitig haben Betroffene das Gefühl, dass ihre Arbeitseffektivität sinkt und sie dadurch noch mehr arbeiten müssen. Körper und Geist sind schlicht ausgebrannt – eben „burned out“.

Ist die Ursache so offensichtlich?

Aber das Gehirn kann auch aus anderen Gründen abschalten. Auch dann passieren Flüchtigkeitsfehler, es können körperliche Symptome wie Schlafmangel etc. auftreten, genau wie beim Burn-Out. Nur die Ursache ist das genaue Gegenteil: Langeweile. Um die Kollegen nicht unter Druck zu setzen, passen Menschen mit Hochbegabung oft ihr Arbeitstempo dem Umfeld an. Es besteht die Gefahr, dass diese Anpassung einen Bore-Out verursacht. Zusätzlich sind die ersten Maßnahmen durch das ansteigende Bewusstsein über Burn-Out im Fall eines Bore-Out meistens komplett kontraindiziert. Die Betroffenen bekommen weniger Arbeit auf den Tisch, weil sie ja augenscheinlich überlastet sind. Werden in den Urlaub geschickt. Zum Teil mit Samthandschuhen angefasst.

Andere Ursachen als beim Burn-Out

Die üblichen Ursachen für Bore-Out sind übermäßige Routine- oder zu leichte Aufgaben, Aufgaben, in denen der Betroffene keinen Sinn erkennt, und schlichte Langeweile. Und das alles im Übermaß. Gibt es nicht? Unsere Gesellschaft ist vom Leistungsgedanken durchdrungen, da wird über Langeweile nicht gesprochen. Hip ist, wer gefragt ist und viel Arbeit auf dem Tisch hat. Die Dunkelziffer an Arbeitnehmern, die sich langweilen, liegt wahrscheinlich deutlich höher als man vermuten mag. Ich habe mal irgendwo von 30% gelesen. Diesen Zustand zu benennen fällt überaus schwer, denn wer mag schon überflüssig erscheinen oder sich selbst wegrationalisieren?

Gefährdungspotenzial

Insbesondere die Personengruppe, über die wir im Proteus-Projekt am liebsten berichten, ist von Bore-Out überdurchschnittlich stark betroffen. Denn die Einstellung gegenüber Denkaufgaben ist von hochbegabten Menschen oftmals ungewöhnlich – sie finden das Denken außerordentlich entspannend. Hochbegabung bewirkt, dass für manche Aufgaben nur ein Bruchteil der kognitiven Kapazitäten für Arbeitsaufgaben abgerufen wird, die die Kollegen für eine gleiche Aufgabe aufwenden. Dagegen ist der Aufwand für eine sozial-emotionale Anpassung bei Hochbegabung überdurchschnittlich hoch (siehe auch Fluch oder Segen vom Oktober 2023): Häufig wird das Sprechtempo aktiv reguliert, in Erklärungen werden zusätzliche Schritte eingebaut, der Smalltalk in den Kaffeepausen ist anstrengend, weil individuell uninteressant. Und so geht der Teufelskreis los: Die Aufgabe ist nicht herausfordernd, das Gehirn schaltet ab. Fehler passieren. Die Reaktion „Du hast einen Burn-Out, mach’ mal weniger.“ Das Gehirn schaltet weiter ab. Die mangelnde kognitive Auslastung sorgt für schlechte Laune und damit wird die Not, sich dem Umfeld anpassen zu müssen, immer größer. Wir haben es also mit einer kognitiven Unterforderung und einer emotionalen Überforderung zu tun. Das Gefühl, anders zu sein und nicht verstanden zu werden, ist an einem Maximum angekommen, der soziale Halt ist dagegen bei einem Minimum angelangt.

Nicht die Kehrseite der Medaille!

Das Gegenteil vom Burn-Out ist der Bore-Out jedenfalls nicht – denn ein riesengroßer Berg Routineaufgaben oder zu leichter Aufgaben kann zu einem parallelen Burn- und Bore-Out führen. Dabei liegt die Ursache niemals nur in der betroffenen Person selbst, sondern ist immer auch im System zu suchen – und zu finden.

Für hochbegabte Menschen ist der Weg aus dem Bore-Out nicht „chillen“ oder eine „ruhige Kugel schieben“. Vielmehr brauchen sie eine sinnvolle geistige Herausforderung. Am Arbeitsplatz fehlt diese oftmals. Es ist auch nicht leicht verständlich, warum man einem Menschen, der durch sein Verhalten überfordert erscheint, eine Herausforderung geben sollte. Insofern braucht es ein Mindestmaß an Selbstverantwortlichkeit, sich entsprechende Aufgaben zu suchen, und auch etwas Glück: Das Glück ein Thema zu finden, das ein Feuer entfachen kann. Und eben auch ein System, in dem das Ausleben von entsprechenden Ideen und Fähigkeiten möglich gemacht – und im besten Fall sogar geschätzt wird.

Differenzierung ist angebracht

Es gibt unterschiedliche Formen von Überforderung, Erschöpfung oder Stress. Auch Menschen mit einer Hochbegabung sind nicht frei von Überlastung. Doch die Ursachen für Überlastung und Stress liegen woanders als im Normalfall. Daher ist eine differenzierte Betrachtung der Ursachen unumgänglich. Übliche Strategien gegen Stress und Überforderung führen womöglich nur zu einer noch stärkeren Belastung. Eine komplette kognitive Brache oder gut gemeinte Hinweise von Kollegen sind oft der falsche Weg. Für Menschen mit hoher kognitiver Begabung ist es schon eine „wunderbare Pause“, wenn sie sich mal eine Zeit lang ganz ausgiebig mit nur EINEM Projekt beschäftigen können. Den Raum zu haben, in diesem einen Thema ganz tief einzutauchen. Nur Taucher mitnehmen zu dürfen, die die gleiche Tiefe erreichen können und sich dort wohlfühlen. Und dann eine Zeit lang – ein paar Tage – dort verweilen, bevor der Aufstieg an die Oberfläche wieder möglich wird.

An diesem Artikel haben mitgewirkt: Eva Kippenberg, Corinna von der Mühlen, Barbara Amann, Heike Bojack, Dana Schnagl, Ute Schiebusch-Reiter, Nadine Galandi, Hedwig Vielreicher

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