Fehler sehen ist nicht schwer, Fehler machen aber sehr…

Ein winziger Rechtschreibfehler in der E-Mail, und schon rast das Herz. Während andere kaum einen Blick darauf werfen, entsteht schon fast ein Gefühl des Versagens. Hochbegabte Angestellte stehen oft vor einem Dilemma, das andere nicht verstehen: Die Fehlertoleranz sich selbst gegenüber ist oft miserabel, auch wenn ihre Fehlertoleranz anderen gegenüber viel höher ist. Zusätzlich sorgt das dafür, dass auch die Ansprüche von außen an Hochbegabte unbewusst höher sein können als an die Kollegen. Das verleiht dem ganzen eine unglückliche Dynamik.

Der Perfektionismus als Herausforderung

Perfektionismus ist eine der größten Herausforderungen für hochbegabte Menschen. Sie denken weiter und nehmen mehr wahr als andere. Das führt dazu, dass sie nach ihren eigenen sehr hohen Maßstäben arbeiten. Sie antizipieren – oft aus Erfahrung –, welche Konsequenzen aus ihrem Handeln entstehen können – und versuchen, negative Konsequenzen abzumildern: so werden zum Beispiel schriftliche Antworten „weichgespült“, um keine Empfindlichkeiten auf der anderen Seite zu wecken. Gleichzeitig entsteht bei den Hochbegabten aber auch ein gewisser Ärger über weichgespülte und dadurch ungenaue Antworten von anderen – sie haben lieber eine klare und deutliche Ansprache und verzichten gerne auf den Small-Talk. Hochbegabte planen daher von Anfang an einen Mehraufwand für – fehlerfreie… – Formulierungen ein, um für die Befindlichkeiten anderer und ein gutes Gesamtergebnis zu sorgen. Die eigenen Bedürfnisse nach Klarheit und Effizienz bleiben dabei etwas auf der Strecke.

Die unbewusst höheren Ansprüche

Aus diesem hohen Anspruch an sich selbst und dem daraus resultierenden Verhalten ergeben sich auch im Außen unbewusst höhere Erwartungen an die Arbeit von hochbegabten Mitarbeitern. Wo selten Fehler passieren, fallen Fehler schneller auf. Natürlich ist es auch schön, wenn die vorgesetzte Person die Qualität der Arbeit erkennt. Und natürlich ist es auch schön, wenn sie das mit entsprechenden Erwartungen honoriert. So gehen dann auch mal Aufgaben an Hochbegabte, an denen andere bereits gescheitert sind – solange das transparent gemacht wird, nehmen Hochbegabte eine solche Herausforderung auch gerne mal an. Dann sind die kleinen Rechtschreibfehler zwar immer noch zum Verzweifeln, aber größere Fehler sind dann auch mal „offiziell“ erlaubt und es lassen sich Dinge ausprobieren.

Unschön wird es, wenn die Tatsache, dass andere schon gescheitert sind, nicht kommuniziert wird. *Damit* Fehler passieren oder derjenige an der Aufgabe scheitert. Oder wenn Kollegen schon fast nach persönlichen kleinen Fehlern „suchen“. Wenn die „perfekte Fassade“ endlich auch mal einen Riss bekommen soll. Wenn der Fehler die hochbegabte Kollegin denn endlich „menschlich“ macht – und dann natürlich doch auch wieder nicht…

Wie Du mir, so ich Dir?

Hier ist also zu unterscheiden zwischen einer „inneren“ und einer „äußeren“ Fehlerkultur. Wie gehe ich mit eigenen Fehlern um und wie gehe ich mit den Fehlern anderer um? Hochbegabte sind sich selbst gegenüber oftmals deutlich kritischer als anderen gegenüber. Sie wissen intuitiv, was sie leisten können und ob das Ergebnis ihren Ansprüchen genügt. Wenn es das (noch) nicht tut, wird das Ergebnis auch noch nicht abgeliefert – was dann manchmal nach Prokrastination aussehen mag (siehe auch den Blog „Prokrasti-Was“ von Februar 2025). Wenn andere Fehler machen, trifft sie das nicht so sehr, denn sie sind ja nicht dafür verantwortlich. Oder sie sind es als Führungskraft indirekt doch, aber dann lässt sich so ein Fehler häufig noch rechtzeitig ausmerzen und es ist eine Team-Leistung. Jedenfalls entfällt die ganz interne persönliche „Schuld“. Und je kleiner der Fehler, desto größer mag auch das Gefühl des Versagens sein – denn größere Fehler sind auch vor sich selbst eher durch ein Informationsdefizit erklärt. Kleine Fehler hängen tatsächlich eher einfach nur an der Person selbst, an Unkonzentriertheit und persönlichem Versagen…

Trifft nun ein Mensch mit einer hohen Fehlertoleranz anderen gegenüber und einer niedrigen Fehlertoleranz sich selbst gegenüber auf eine Person, die sich selbst gegenüber recht nachsichtig ist und dann aber zu Neid und Missgunst neigt, dann sind wir bei der oben beschriebenen rissigen Fassade. Hier zeigt sich, ob die Unternehmenskultur ehrlich gelebt wird, oder ob es eher ein Schriftzug auf der rissigen Fassade ist.

Quod licet Iovi, non licet bovi…

Besonders schwierig wird die Situation, wenn die unterschiedlichen „internen Fehlerkulturen“ zwischen Hierarchieebenen bestehen. Wenn die vorgesetzte Person eifersüchtig wird und zu gerne mal einen Fehler beim anderen dokumentieren möchte… In einem solchen Fall ist es besonders wichtig, Aufträge klar zu dokumentieren – und im schlimmsten Fall sogar gegenzeichnen zu lassen. Denn es soll schon vorgekommen sein, dass der „Arbeitsauftrag“ am Ende plötzlich ganz anders gewesen sein soll. Auch eine durchgehend ordentliche Dokumentation des Informationsflusses ist dann wichtig – denn das stärkt die Glaubwürdigkeit, wenn man bestimmte Informationen eben mal nicht bekommen hat.

Zusätzlich haben viele Unternehmen zwar auf dem Papier eine ganz tolle Fehlerkultur – da gibt es dann beispielsweise den „Tag des Scheiterns“, an dem irgendwelche gescheiterten Projekte gefeiert werden. Aber aufgepasst! Denn es hängt vielfach dann doch sehr vom Fehler ab und von der Position oder der Person, der dieser Fehler passiert ist, ob der Fehler berichtet werden darf oder nicht. Es gibt durchaus „coole“ Fehler, die zu Innovationen und Veränderungen führen und mit denen gezeigt werden kann, wie toll das Unternehmen ist. Und dann gibt es Fehler, die eher peinlich sind. Wenn es gut läuft, können diese Fehler ganz gut im Team besprochen werden, aber bei einem „lessons learned“ werden die bitte nicht hineingeschrieben… Ob das Unternehmen also eine gute Fehlerkultur lebt, entscheidet sich also im Team und nicht in der „gelebten Öffentlichkeit“!

Das Hochstapler-Syndrom

Die niedrige Fehlertoleranz sich selbst gegenüber hat noch einen anderen Effekt: Hochbegabte neigen zum Hochstapler-Syndrom. Sie denken dauernd, dass sie gar nicht so schlau sind und bald „auffliegen“ werden. Auch wenn das vielleicht kein typisches Signal für Hochbegabung ist, fühlen sich viele Hochbegabte so. Studien haben wir jetzt akut keine dazu gefunden. Aber sobald ihnen ein Fehler passiert, kann sich bei Hochbegabten eben auch mal postwendend ein Gefühl von Selbstüberschätzung einstellen. Die Erfahrungen, im Vergleich zu anderen für kleinere Fehler korrigiert und kritisiert zu werden, führen nach und nach zu höheren Erwartungen an sich selbst. Werden diese oft überhöhten Erwartungen nicht erfüllt, folgt der Selbstzweifel. Hier hilft ein direkter (stiller) Vergleich mit Kollegen: was leisten andere in einem ähnlichen Setting. Das rückt die Eigenwahrnehmung wieder in ein realistischeres Licht.

Der Weg zu einem gesunden Umgang

Zu einer ordentlichen Fehlerkultur gehört ein gesundes Selbstwertgefühl. Und ein solches Selbstwertgefühl wird von der Gruppe vermittelt. Niemand sollte sich mit fremden Federn schmücken. Oder jemand anderem einen Fehler anhängen. Oder einen anderen für einen Fehler an den Pranger stellen. Was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter als über Paul. Fehler wollen beseitigt werden und nichts weiter.

Und viele Fehler beinhalten eine Möglichkeit zum Lernen. Etwas hat nicht funktioniert – dann muss man es eben anders versuchen. Wer den Fehler-Fokus ändert, dem eröffnet sich ein völlig neues Lernfeld! Nicht „was hast Du jetzt schon wieder falsch gemacht“, sondern „was hast Du jetzt gelernt“.

Die Herausforderung für Hochbegabte bleibt: Den Perfektionismus in ein Gleichgewicht zu bekommen. Wahrt die Balance, wenn im Außen die Ansprüche unbewusst ansteigen. Ihr kennt Euren Standard und der ist wahrlich hoch genug. Der Schlüssel liegt darin, mit sich selbst nachsichtiger zu sein und die Erwartungen anderer realistisch einzuschätzen. Und vielleicht hilft auch der Gedanke, dass Neid und entsprechend Kritik auch verdient sein will…


An dem Artikel haben mitgewirkt: Eva Kippenberg, Melanie Nose, Heike Bojack und claude.ai

 

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