Der Umgang mit hochbegabten Mitarbeitern bringt eine Reihe von Herausforderungen sowohl für Arbeitgeber als auch für die Individuen selbst mit sich. Die hohe Intelligenz kognitiv begabter Menschen führt zu Empfindungen und Situationsinterpretationen, die stark von denen normalbegabter Menschen abweichen können. Dies kann am Arbeitsplatz zu Konflikten oder auch zu gesundheitlichen Schäden bei begabten Mitarbeitern führen.
Dieser Artikel erkundet die wichtigsten der vielschichtigen Herausforderungen, mit denen Organisationen mit hochbegabten Mitarbeitern konfrontiert sein können, und schlägt Strategien vor, um eine positive und produktive Arbeitsumgebung zu fördern.
Besondere Sicht- und Verhaltensweisen
In manchen Teams geht es schon damit los, dass Menschen mit hohen Begabungen oft gerne, schnell und lösungsorientiert arbeiten. Diese Vorlieben stoßen bei Kollegen zum Teil auf Unverständnis, zum Teil auf unverhohlene Ablehnung. Kollegen können sich beispielsweise unter Druck gesetzt fühlen, bei dem Arbeitstempo mitzuhalten. Auf der anderen Seite kann auch die eigene Geschwindigkeit zu Frustration und Ungeduld führen, wenn die Kollegen nicht folgen können. Besonders „beliebt“ sind hier Situationen, in denen kognitiv begabte Menschen Prozesse optimieren möchten. Optimierte Prozesse entlasten hochbegabte Menschen, weil deren Ungeduld, das Ziel zu erreichen, schneller bedient wird. Gleichzeitig überfordert die Geschwindigkeit die restliche Belegschaft sowieso schon und diese haben daher keine große Motivation, den Prozess zu verändern, geschweige denn zu beschleunigen.
Zusätzlich werden von kognitiv begabten Mitarbeitern in vielen Situationen Hierarchien hinterfragt – oder auch mal ignoriert, wenn die eigene Idee wichtig, vielversprechend und ohne Unterstützung umsetzbar erscheint. Dieser hohe Drang nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit kann die Integration hochbegabter Mitarbeiter im Team erschweren und damit zu Reibungen auf allen Seiten führen[1].
Reibungsverluste
Wie sieht das Erleben dieser Reibungen auf den verschiedenen Seiten aus?
Die Führungskraft könnte überfordert sein: Die Menge an Ideen, die Geschwindigkeit, der Anspruch, dass die Ideen umgesetzt werden – ein kognitiv begabter Mitarbeiter, der seine Ideen einbringt, kann sehr anstrengend sein!
Kollegen können sich durch das Tempo und die Ungeduld eines kognitiv begabten Menschen unter Druck und Zugzwang gesetzt fühlen. Hierfür kann es schon ausreichend sein, dass der hochbegabte Mitarbeiter einfach früher mit der Arbeit fertig ist. Ist sich ein Hochbegabter seiner Hochbegabung gar nicht bewusst, wird dieser „stille Druck“ manchmal noch von ungeduldigen Kommentaren begleitet, was den anderen noch mehr das Gefühl vermittelt, sie seien zu langsam.
Nicht zuletzt leidet ein kognitiv begabter Mitarbeiter auch selbst unter diesen Dissonanzen. Ungeduld ist nervenaufreibend. Langeweile kann zu Bore-Out und Depressionen führen. Das Erleben der eigenen Intelligenz wird zum Teil als einschränkend wahrgenommen, weil die Ideen von den anderen nicht verstanden und daher nicht angenommen werden. Vielen Hochbegabten ist zu Beginn des Meetings die Lösung am Ende bereits klar – trotzdem müssen sie sich den gesamten Gedankengang dorthin noch einmal anhören.
Und die Lösung?
Allem voran steht die Information über Begabungen und Talente im Team. Hierzu zählen nicht nur die kognitive Hochbegabung, sondern alle Fähigkeiten, die bei Menschen unterschiedlich gut ausgeprägt sind. Organisationtalent, Empathie oder eine hohe Detailsicht sind nur wenige Beispiele.
Das schnelle, vernetzte Denken hochbegabter Mitarbeiter erstreckt sich häufig über eine breite Menge an Fähigkeiten und kann manchmal traditionelle Arbeitsstrukturen überwältigen. Reibungslose Abläufe mit kognitiv begabten Mitarbeitern setzen daher eine besonders offene Kommunikation über Möglichkeiten und Grenzen voraus. In Team-Meetings kann es hilfreich sein, wenn sich die Teammitglieder gegenseitig beim Denken zuhören – auf diese Weise werden Gedankengänge sicht- und unterstützbar. Lücken- und fehlerhafte Gedankengänge können schnell korrigiert werden. Hier ist die Führungskraft gefragt, in Meetings eine entsprechende wertschätzende und auf Zuhören geeichte Atmosphäre zu schaffen.
In der individuellen Mitarbeiterentwicklung ist eine offene Haltung gegenüber dem Ausmaß einer Herausforderung wichtig. Was Hans als Herausforderung erlebt, ist für Greta womöglich eine Kleinigkeit – das gilt für verschiedene Talente und auch für intellektuelle Kapazitäten. Vorgefertigte Aufgaben liegen für kognitiv begabte Mitarbeiter oft neben dem optimalen Maß an Herausforderung und bewirken öfter ein Gefühl des gleichzeitigen „überarbeitet und unterfordert“ Seins.
Führungskräften, die sich mit den Begabungen ihrer Teammitglieder auseinandersetzen, fällt es oft leichter, herausragende Fähigkeiten nicht als persönliche Bedrohung zu erleben. Statt dessen sorgen sie für einen gezielten Einsatz von individuellen Stärken. Wird hochbegabten Mitarbeitern die Möglichkeit gegeben, ihr Potenzial zu zeigen und auszuschöpfen, können sie in der Wahrnehmung vom Troublemaker zum Troubleshooter werden – zum Vorteil aller Beteiligten.
An dem Artikel haben mitgewirkt Eva Kippenberg, Heike Bojack, Heike Fischer, Denise Tollkamp, Ute Schiebusch-Reiter
[1] Vgl. hierzu Studien Hossiep und Scheer (2013) und Nauta (2013).