Von vielen Schrauben im System: Das Wissen um das richtige Beziehungs-Öl

Wenn Hochbegabte anecken: Die Realität im Team

Manche Teammitglieder stechen heraus und lassen sich schlecht integrieren. Sei es, dass sie sich abkapseln, die Augen rollen, dauernd Prozesse infrage stellen – wir kennen die typischen Reaktionen hochbegabter Teammitglieder, wenn die Welt sich mal wieder zu langsam dreht. Natürlich gibt es – gerade aus der Sicht dieser Menschen – viele gute Gründe, warum hochbegabte Angestellte eine wertvolle Ressource für Unternehmen sind (siehe hierzu die Blogartikel von Oktober 2023, Februar 2024 oder April 2025). Aber meistens enden die Geschichten von herausfordernden Teammitgliedern dann doch mit einer Trennung vom Arbeitgeber. Was braucht es also, wenn das anders werden soll?

Warum Führungskräfte nicht die Lösung sind

Begrenzte Ressourcen im Führungsalltag

Stellen wir uns eine Führungskraft vor, die einfach möchte, dass „der Laden läuft“. Nennen wir sie Beate. Beate zeigt viel guten Willen, sich um ihr Team zu kümmern. Sie hört den Geschichten um kranke Katzen zu, fragt nach der Großmutter und lässt das Team bei der Aufgabenverteilung mitentscheiden. Ihr Augenmerk liegt auf dem Aufgabenbereich des Teams. Und nur dort. Damit ist sie gut ausgelastet.

Stellen wir uns weiter Sarah vor. Sarah ist in Beates Team und langweilt sich. Die kranke Katze ist ihr egal, sie will das Projekt voranbringen. Wer die Aufgaben macht, ist ihr auch egal – nur schneller sollte es sein. Nun zu denken, dass Sarah einfach zu Beate geht und plötzlich tolle, bereichsübergreifende Aufgaben bekommt, ist naiv. Beate hat die benachbarten Bereiche gar nicht im Blick und entscheiden darf die darüber auch nicht. Wahrscheinlich wäre sie mit einer solchen Aufgabe überfordert. Dieser Weg ist also meist nicht von Erfolg gekrönt. Die „Schraube Beate“ sitzt fest.

Das Problem mit abweichendem Verhalten

Das kann im nächsten Schritt zu Verhaltensweisen von Sarah führen, die von der Norm abweichen. Auffallen. Stören. Man könnte sich hier fragen, was die Ursache für das abweichende Verhalten ist und damit passgenaue Abhilfe schaffen. Hierfür bräuchten wir jemanden, der a) das abnorme Verhalten bemerkt, b) weiß, dass ein solches Verhalten immer eine Ursache hat und c) die Zeit hat, diese Ursache mit Sarah zu ergründen – die sich womöglich gar nicht bewusst ist, dass ihr Verhalten irgendwie auffällig ist. Diese Ressourcen stehen Beate gar nicht zur Verfügung, weder zeitlich noch wahrscheinlich kognitiv. Und – ganz ehrlich – ist die Ursachenforschung auch ein sehr hochbegabter Denkansatz, womöglich getrieben von dem Wunsch, selbst doch bitte auch endlich mal „gesehen“ zu werden.

Wenn der direkte Hinweis auf Unterforderung schon bei Beate nichts bewirkt hat, wird abweichendes Verhalten dies erst recht nicht tun. Häufig weiß die hochbegabte Person ja selbst nicht einmal, was genau bei ihr zu solchen Verhaltensmustern führt – die meisten wissen schon gar nicht, dass sie hochbegabt sind.

Bewältigungsstrategien für Hochbegabte: Beide Seiten einer Beziehung

Viele Schrauben im System

Gibt es nun ein faktisches Wissen, das Beate zum „Umdenken“ bewegen kann? Das sie befähigt, das Bedürfnis von Sarah zu erkennen und zu lösen? Womöglich nicht. Da aber an der Beziehung zwischen Führungskraft und hochbegabtem Teammitglied mindestens zwei Personen beteiligt sind, gibt es auch mindestens zwei „Schrauben“: Entweder Beate macht eine Entwicklung durch oder eben Sarah – das betroffene Teammitglied. Wenn in einem System eine Schraube locker ist, lösen sich langsam auch die anderen Schrauben. Es sei denn, die Schraube wird wieder festgezogen.

Die Frage, die jetzt womöglich innerlich hochkommt ist „Ach, jetzt soll sich wieder der Hochbegabte anpassen…?!!“. Aber ist das Anpassung? Oder ist es eine selbstverantwortliche Gestaltung des Umfeldes? Vielleicht ein Stück weit „Manipulation“ im besten Sinn?

Die Frage ist nicht wirklich „welche von zwei Schrauben kann ich drehen“, wenn eine der beiden Schrauben festsitzt. Die Frage lautet dann eher „Wie weit kann ich die bewegliche Schraube drehen, damit das System besser läuft?“ Menschliche Systeme bestehen nicht aus Klemmschrauben, sondern eher aus Stellschrauben – sie können Feinjustierungen am System vornehmen.

Die Angst der Führungskraft verstehen

Der „schlimmste Fall“ von Führung

Schauen wir uns mal alternativ den „schlimmsten Fall“ an: Den einer Führungskraft, die unbedingt ihr Soll erfüllen will. Die den eigenen Selbstwert aus dem Firmenergebnis abliest. Neben der täglichen operativen Arbeit stehen ihr keine persönlichen Ressourcen für gute Führung zur Verfügung. Diese Schraube sitzt noch fester als Beate. Da bräuchte es schon einen ziemlich langen Hebel oder sehr viel Kriechöl, um diese Schraube zu bewegen.

Wovor hat eine solche Führungskraft die meiste Angst? Vor dem Gesichtsverlust. Wie verliert sie ihr Gesicht? Indem jemand anderes aus dem Team eindeutig schlauer ist als sie selbst. Und letzten Endes schwingt diese Angst bei ganz vielen Führungskräften unbewusst mit. Dass sie ihre Führungsposition nicht zur Gänze erfüllen. Das nagt am Selbstwert. Mal mehr, mal weniger – manchmal zum Glück auch gar nicht.

Strategien für hochbegabte Mitarbeiter: Die inoffizielle Führung nutzen

Manipulation ist auch nur Einfluss

Wir haben also eine Stellschraube – und die sind wir selbst. Wir haben eine Führungskraft, die ihr Gesicht nicht verlieren möchte – diese Schraube sitzt unterschiedlich fest. Wir haben eine Situation im Arbeitsalltag, die für uns nicht passt – hier ist eine Schraube locker und bedroht das System.

Hochbegabte haben eine hohe Gestaltungsmotivation, sehen komplexe Zusammenhänge schnell und sind oft reichlich genervt, wenn die Prozesse stocken – und sorgen deshalb dafür, dass diese wieder weiterlaufen. Fachlich sind sie ihren Führungskräften auch oft genug voraus. Hochbegabte geraten deshalb in Teams vergleichsweise häufig sowieso in die Position einer „inoffiziellen Führungskraft“. Jedoch haben Hochbegabte häufig weniger Interesse an den „politischen Spielchen“ in der Führungsebene und wollen daher diesen Posten gar nicht haben. Dieses Wissen allein reicht aber nicht, um der Führungskraft die Angst vor der Konkurrenz zu nehmen. Es zurrt die Schraube Beate womöglich eher noch fester. Die Schraube Beate braucht Öl. Und Sarah hat ein ganz besonderes Öl: ihre Intelligenz. Man könnte sagen die Feinjustierung der Stellschraube Sarah kontrolliert die Ölzufuhr an die Schraube Beate. Und nicht nur die Menge, sondern auch die Art des Öls.

Respekt als Schlüssel zur Zusammenarbeit

Zwischenmenschliche Beziehungen sind von einer Reziprozität geprägt, von einer Wechselseitigkeit im Verhalten. Respekt auf der einen Seite führt also zu mehr Respekt auf der anderen. Im Negativen wirkt das allerdings genauso. Was mache ich also mit der Führungskraft, die ich kaum respektieren will? Die mir intellektuell wahrscheinlich nicht das Wasser reichen kann? Rein politisch sitzt diese Führungskraft am längeren Hebel. Ich kann also nur intelligent dem System das richtige Öl in der richtigen Menge zuführen.

Praktische Tipps: So überleben Hochbegabte im Team

Mit dem Hammer auf die Schraube?

Eine Schraube braucht Geduld und Windungen. Dazu gehört womöglich die Über-Windung, auf die Führungskraft zuzugehen und bestimmte Themen offen anzusprechen. Das ermöglicht der Führungskraft, in öffentlichen Situationen so zu führen, dass sie das Gesicht wahren kann – das wichtigste Öl überhaupt.

Aber auch Transparenz gibt es in Abstufungen. Wer mit der Hammer-Aussage „Ich bin hochbegabt“ auf die Führungskraft zugeht, bricht womöglich den Schraubenkopf ab. Denn viele Führungskräfte können mit dem Begriff nichts anfangen und fühlen sich allein dadurch womöglich bedroht. Ich kann aber meiner Führungskraft sagen, wo meine Stärken und Schwächen liegen. Sarah kann beispielsweise zu Beate gehen und sagen „Ich erkenne sehr schnell Fehler im System. Wäre es für Dich in Ordnung, wenn ich Dich auf Probleme hinweise, die ich (auch längerfristig) auf uns zukommen sehe?“. Beate kann hier selbst entscheiden und wird alleine dadurch das Angebot wohl nicht ablehnen. Oder die Art und Häufigkeit der Hinweise kann besprochen werden. Der erste Schritt zu einer guten Arbeitsbeziehung ist damit getan.

Je stärker die inoffizielle Führung zutage tritt, desto wichtiger kann dieser Schritt auf die Führungskraft zu sein. Denn eine inoffizielle Führung bedroht immer das Ansehen der Führungskraft im System. Eine offen ausgetragene immanente Führungsautorität Hochbegabter führt daher eher zu offenen Konflikten mit der offiziellen Führungskraft.

Der richtige Schraubenschlüssel: Beziehungsgestaltung als Lösung

Insofern gibt es schon ein „bestimmtes Wissen“, das zu einer Haltungsänderung führen und die Schraube lösen kann. Nur ist dieses Wissen in verrosteten Systemen oft zu wenig vorhanden. Und ist außerdem sehr persönlicher Natur. Dieses Wissen ist – so profan das klingt – , dass Beziehungen die „Schraubenschlüssel“ zu guter Zusammenarbeit sind. Und dass auch eine Beziehung zu sich selbst dazu gehört. Die eigenen Stärken und Schwächen zu kennen und zu benennen trägt entscheidend zu guten Arbeitsbeziehungen bei. Wir müssen uns alle nicht gegenseitig lieben und heiraten. Aber respektieren wäre gut. Und wer ist für die Beziehungsgestaltung zuständig? Na klar: Der, der es kann.


An dem Artikel haben mitgewirkt: Eva Kippenberg, Astrid Puchinger, Ute Schiebusch-Reiter, Heike Bojack, Melanie Nose, Corinna von der Mühlen

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